F&A: Macht zu binden und zu lösen

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Frage: Können Sie die Textstelle in Matthäus 16,19 erklären, wo Christus die Macht verlieh, zu binden und zu lösen?

Antwort: Lesen wir die oben erwähnte Passage im Kontext und beginnen wir mit Matthäus 16,18, wo Christus zu Petrus sprach: „Und ich sage dir auch: Du bist Petrus, und auf diesen Felsen will ich meine Gemeinde bauen, und die Pforten der Hölle sollen sie nicht überwältigen. Ich will dir die Schlüssel des Himmelreichs geben: alles, was du auf Erden binden wirst, soll auch im Himmel gebunden sein, und alles, was du auf Erden lösen wirst, soll auch im Himmel gelöst sein.“

Der Name „Petrus“ stammt von dem griechischen Wort „petros“ ab und steht für „ein kleiner Stein.“ Der „Fels“, auf dem Christus seine Kirche bauen wollte, leitet sich von dem griechischen Wort „petra“ ab, was „ein massiver Fels“ bedeutet. Christus sprach hier nicht davon, seine Gemeinde auf „Petrus“ aufbauen zu wollen; vielmehr sollte dies auf dem Felsen erfolgen — auf Christus selbst. In Stellen wie 1. Korinther 10,4 wird Christus eindeutig als der „Fels“ identifiziert. Sowohl Petrus als auch die anderen Apostel und Propheten sind Teil des Fundaments, bei dem Christus „der Eckstein“ (Epheser 2,20) ist. Die Kirche baut sich auf Christus auf, der ihr lebendiges Haupt ist (vgl. Epheser 4,15). Darum kann sie nicht von „den Pforten der Hölle“ oder von dem „Tod“ überwunden und besiegt werden, denn Christus, als das Haupt und Fundament der Kirche, hat den Tod überwältigt und besitzt somit „die Schlüssel des Todes und der Hölle“ (Offenbarung 1,18). Zudem erklärt Paulus, dass niemand einen anderen Grund legen kann „als den, der gelegt ist, welcher ist Jesus Christus“ (1. Korinther 3,11).

Ungers Handbuch zur Bibel stimmt dem zu: „Du bist Petrus [‚petros‘, ein Stein], und auf diesem Felsen [‚petra‘, ein großer Felsblock] will ich meine Kirche bauen (vgl. 1. Petrus 2,4-6, wo der Apostel klarstellt, dass er nicht ‚der Fels‘ ist).“

„Broadmans Erläuterungen zur Bibel“ kommentiert dies so:

„In der griechischen Fassung sind zwei Formen erkennbar — zum einen ‚du bist Petrus‘ (Petros) und zum anderen ‚auf diesem Fels‘ (petra) […] Die männliche Form heißt ‚Petros‘ und die weibliche ‚petra‘ […] Wenn Petrus also ‚der Fels‘ wäre, wäre es seltsam, dass das unpersönliche ‚der Fels‘ auf das persönliche ‚du bist‘ folgt […] Obwohl Petrus und alle anderen Apostel (siehe Epheser 2,20; Offenbarung 21,14) in gewisser Hinsicht das Fundament bilden, auf das die Kirche gebaut wurde, beschreibt dies das Neue Testament niemals in einem absoluten Sinn. Jesus selbst ist ‚der Fels‘, auf dem die Kirche steht […] Es könnte eine Kirche ohne Petrus geben, aber nicht ohne Christus, denn Petrus ist weder das Haupt noch das Fundament der Kirche. Jesus gründete sie und ist ihr lebendiges Oberhaupt, sie steht und fällt mit ihm.“

Diesen elementaren Hintergrund müssen wir uns genauestens zu Eigen gemacht haben, um die „Macht des Bindens und des Lösens“ begreifen zu können. Christus gab Petrus „die Schlüssel des Himmelreichs“ — er offenbarte Petrus und den anderen Jüngern die Erkenntnis, wie sie in das Königreich Gottes gelangen konnten.

In Matthäus 16,19 führt Christus weiter aus: „…alles, was du auf Erden binden wirst, soll auch im Himmel gebunden sein, und alles, was du auf Erden lösen wirst, soll auch im Himmel gelöst sein.“ Diese Aussage ist eindeutig an eine Person, nämlich an Petrus, gerichtet, wie das „du“ zu verstehen gibt.

Allerdings spricht Christus im Folgenden nicht nur Petrus an, wenn er sagt: „Wahrlich, ich sage euch: Was ihr auf Erden binden werdet, soll auch im Himmel gebunden sein, und was ihr auf Erden lösen werdet, soll auch im Himmel gelöst sein“ (Matthäus 18,18). Während mit „du“ in Matthäus 16,19 lediglich eine Person angesprochen wird, bezieht sich das Personalpronomen „ihr“ (Matthäus 18,18) auf mehr als eine Person. Kurz zuvor, in Matthäus 18,15-17, erklärte Christus die geeignete Vorgehensweise bezüglich eines uneinsichtigen Gemeindemitgliedes. Wenn er oder sie nicht auf die Gemeinde, d.h. die Predigerschaft der Kirche, hört, „so sei er für dich wie ein Heide und Zöllner.“ Es ist die Predigerschaft, die die Entscheidung trifft, eine solche Person aus der Gemeinde auszuschließen. Natürlich beruht eine derlei schwerwiegende Entscheidung auf einem wohlüberlegten Urteil, ob die Person reumütig war und ihr daher die Sünden vergeben worden sind oder nicht. In Johannes 20,22.23 erfahren wir: „Und als er das gesagt hatte, blies er sie an und spricht zu ihnen: Nehmt hin den heiligen Geist! Welchen ihr die Sünden erlaßt, denen sind sie erlassen; und welchen ihr sie behaltet, denen sind sie behalten.“

Gott gab seiner Predigerschaft „die Macht zu binden und zu lösen“, Sünden zu vergeben und zu behalten. Es ist jedoch wichtig, den Umfang dieser Ermächtigung richtig zu erfassen.

Mit Hinsicht auf Matthäus 16,19 finden wir in der New King James Bible folgende Randanmerkung: „Oder, ‚wird gebunden worden sein… wird gelöst worden sein.'“

Die Ryrie Study Bible schreibt: „‚Soll gebunden worden sein… soll gelöst worden sein.‘ Der Himmel, nicht die Apostel, leitet das Binden und das Lösen in die Wege, während die Apostel dies verkündigen. Ein Beispiel dafür findet sich in der Apostelgeschichte 15,20.“

Die New American Standard Bible übersetzt Matthäus 16,19 wie folgt: „… was du auf Erden binden wirst, soll auch im Himmel gebunden worden sein, und was du auf Erden lösen wirst, soll auch im Himmel gelöst worden sein.“

Ähnlich die Übersetzung des Neuen Testaments von Charles Williams: „… und was du auf Erden verbietest, muss dem entsprechen, was bereits im Himmel verboten ist, und was du auf Erden gestattest, muss mit dem im Himmel bereits Erlaubtem übereinstimmen.“

„Broadmans Erläuterungen zur Bibel“ erklärt:

„‚Soll gebunden sein‘ (estai dedemenon) und ’soll gelöst sein‘ (estai lelumenon) sind vielleicht keine präzisen Wiedergaben des griechischen Originals. In beiden Fällen handelt es sich um eine passive Zeitform des Futurs; es sollte daher möglicherweise ‚wird gebunden worden sein‘ und ‚wird gelöst worden sein‘ heißen, auch wenn das pedantisch erscheinen mag. Wenn hier aber diese Zeitform eingreift, ändert sich die Bedeutung. Dies würde darauf hinweisen, dass die Handlungen auf der Erde nicht im Himmel anerkannt, sondern im Himmel vorweggenommen werden. In anderen Worten ausgedrückt: Die Erde folgt dem Himmel und nicht umgekehrt.“

In Bezug auf Johannes 20,23 kommentiert die Ryrie Study Bible: „Nur Gott kann Sünden vergeben (vgl. Markus 2,7), dennoch ist den Jüngern und der Kirche die Vollmacht gegeben, zu erklären, was Gott tut, wenn jemand seinen Sohn entweder annimmt oder verwirft.“ Hinzuzufügen ist, dass Christus angekündigt hatte, dass sie bald den Heiligen Geist empfangen würden, welcher uns Verstand und Weisheit spendet, und insbesondere die Predigerschaft der Gemeinde befähigt, zu erkennen, wer wahrhaftig reumütig ist oder nicht — wem also GOTT die Sünden vergeben hat, und wem nicht.

Obgleich die Worte Jesu zu jener Zeit an Petrus und die anderen Apostel gerichtet waren, so sind seine Aussagen nicht nur auf sie beschränkt. Christus sagte, dass die frühen Apostel alle Jünger lehren sollten, alles zu halten, „was ich euch befohlen habe. Und siehe, ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende [oder besser gesagt: bis ans Ende dieses Zeitalters resp. dieser Zivilisation]“ (Matthäus 28,20). Damit bezog Christus die Kirche aller Zeitalter bis zu seiner Rückkehr mit ein; deshalb beschränkte er „die Macht zu binden und zu lösen“ nicht auf die Apostel des ersten Jahrhunderts.

Auch die Nelson Study Bible berichtet über Matthäus 16,19 und 18,18: „In jüdisch-religiöser Literatur bezieht sich das Binden und Lösen auf Erlaubtes und Unerlaubtes. Daher kann man diese Passage auf Urteile übertragen, welche Petrus [und die anderen Apostel] nach Ermessen der Kirche — Sünde oder nicht — fällen würde[n]… Die Zeitform in [Matthäus] 16,19 [sowie in Matthäus 18,18] impliziert das auf Erden Gelöste oder Gebundene als im Himmel schon Vorherbestimmtes — ein Versprechen göttlicher Inspiration…“

Beachten Sie auch Jamiesson, Fausset und Browns Auslegung zu Matthäus 18,18: „Was einst nur Petrus für eine kurze Zeit gewährt wurde… dehnte sich auf alle Zwölf aus, so dass… es nichts mehr Besonderes für Petrus bedeutet, noch weit weniger für seine Nachfolger in Rom. Es hat mit einer Aufnahme in die und Ablehnung von der Mitgliedschaft in der Kirche zu tun.“

Der New Bible Commentary befürwortet Vorstehendes und ergänzt das Gesagte mit folgenden Bemerkungen: „Das Versprechen bedeutet selbstverständlich nicht, dass Gott an das, was Petrus sagt, gebunden ist (vgl. Galater 2,11); aber die Dinge, die im Sinne von Christus getan werden, werden wirksam gebunden… Juristische Urteile, die sich auf das Verhalten Einzelner beziehen, haben bleibende Gültigkeit.“

Eerdmans Handbuch zum besseren Verständnis der Bibel führt aus: „Die Vollmacht, die Petrus gegeben wurde, erstreckte sich ebenso auf die anderen (siehe [Matthäus] 18,18)… Gott ist nicht an Werke und Erklärungen von Petrus gebunden; dennoch behalten Taten der Jünger — wenn sie in Übereinstimmung mit dem Willen Christi stehen — dauerhafte Gültigkeit.“

„Broadmans Erläuterungen zur Bibel“ erklärt die Bedeutung und den Umfang des Bindens und des Lösens in Matthäus 18,18, wie folgt:

„Die Macht des Bindens und des Lösens, welche Petrus in [Matthäus] 16,19 gegeben ist, ist auf die ganze Kirche [die Predigerschaft] ausgedehnt. In [Matthäus] 16,19 scheint dies in erster Linie mit einer Anleitung zusammenzuhängen, welches Verhalten erlaubt ist und welches nicht [Hier ist hinzuzufügen, dass dies auch Verhalten miteinschließt, das in der Schrift nicht deutlich definiert ist. Der Kirche ist es aber nicht erlaubt, irgendwelche Gebote, Gesetze oder Urteile Gottes abzuschaffen oder zu ignorieren, vgl. Matthäus 5,17-19; Johannes 2,10; Markus 7,6-13. Ebenso darf sie keine Verbote über in der Bibel Gestattetes aussprechen, vgl. Offenbarung 22,18.19; Deuteronomium 4,2; 13,1; Sprüche 30,5.6]. Hier [in Matthäus 18,18] hängt es mit der Disziplin der Kirche zusammen. Die Zukunftsform ist dieselbe wie in [Matthäus] 16,19 und zeigt eine Übereinstimmung zwischen dem Himmel und der Gemeinde. Dies setzt natürlich voraus, dass die Disziplinierung eines Mitglieds der Kirche von richtigen Beweggründen und dem Heiligen Geist gelenkt wurde.“

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Christus die Führung der Kirche ermächtigt hat, den Willen Gottes bezüglich des Bindens der Entscheidungen der Kirche zu erkennen, was Gott — basierend auf seinem Gesetz — genehmigt und verbietet, und wer — basierend auf den Entscheidungen der Gemeindeführung mit Rücksicht auf die Reue der Person und Gottes Vergebung — exkommuniziert und wieder in die Gemeinde aufgenommen werden soll. Das soll nun nicht heißen, dass die Entscheidungen der Kirche unfehlbar sind. Gott würde niemals einen Entschluss im Himmel binden, der seinem Willen und seinem Gesetz widerstrebt. Vielmehr sollen wir in der Erkenntnis Christi wachsen (vgl. 2. Petrus 3,18; Epheser 4,13). Wenn Gott deshalb durch die Kraft und die Weisheit seines Heiligen Geistes der Kirchenführung zu erkennen gibt, dass sie falsch geurteilt hat — sei es wegen der Nichtbeachtung des Gesetzes oder eines unkorrekten Verständnisses des Willens Gottes –, dann muss eine solche Falschentscheidung umgehend berichtigt werden.