Und weil die Gesetzlosigkeit überhandnimmt… Teil 3

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Hier ist der 3. Teil der erweiterten deutschen Übersetzung unserer englischen Broschüre „And Lawlessness Will Abound…“

Paulus wurde keineswegs angeklagt, die Zehn Gebote abgeschafft zu haben

Wir lesen in Apostelgeschichte 21,18-24: „Am nächsten Tag aber ging Paulus mit uns zu Jakobus, und es kamen die Ältesten alle dorthin. Und als er sie begrüßt hatte, erzählte er eins nach dem andern, was Gott unter den Heiden durch seinen Dienst getan hatte. Als sie aber das hörten, lobten sie Gott und sprachen zu ihm: Bruder, du siehst, wie viel tausend Juden gläubig geworden sind, und alle sind Eiferer für das Gesetz. Ihnen ist aber berichtet worden über dich, dass du alle Juden, die unter den Heiden wohnen, den Abfall von Mose lehrst und sagst, sie sollen ihre Kinder nicht beschneiden und auch nicht nach den Ordnungen leben. Was nun? Auf jeden Fall werden sie hören, dass du gekommen bist. So tu nun das, was wir dir sagen. Wir haben vier Männer, die haben ein Gelübde auf sich genommen; die nimm zu dir und lass dich reinigen mit ihnen und trage die Kosten für sie, dass sie ihr Haupt scheren können; so werden alle erkennen, dass es nicht so ist, wie man ihnen über dich berichtet hat, sondern dass du selber auch nach dem Gesetz lebst und es hältst.“

Welches „Gesetz“ spricht diese Bibelstelle an? Das Gesetz der Zehn Gebote? Beachten Sie, dass der spezifische Zusammenhang hier Beschneidung, Reinigung und andere Rituale in Verbindung mit dem Ablegen eines Gelübdes ist. Bedenken Sie ebenfalls, was Paulus tatsächlich tat, indem er den „Gebräuchen“ der Juden folgte: „Da nahm Paulus die Männer zu sich und reinigte sich am nächsten Tag mit ihnen und ging in den Tempel und zeigte an, dass die Tage der Reinigung beendet sein sollten, sobald für jeden von ihnen das Opfer dargebracht wäre“ (Vers 26).

Die Bezugnahme auf das „Gesetz“ oder die „Gebräuche“ besteht einzig und allein im Hinblick auf jenen Teil der Schriften des Mose, der sich mit Opfergaben, Waschungen oder Ritualen befasste – mit anderen Worten, auf das „Gesetz, das hinzugekommen ist“, keineswegs jedoch auf die Zehn Gebote.

Wir möchten an dieser Stelle anfügen, dass es für Paulus selbstverständlich keine Sünde war, an jenen Gebräuchen teilzunehmen, obwohl diese nicht länger erforderlich waren. Paulus sagte, dass er den Juden wie ein Jude geworden war, um einige zu gewinnen (1.Korinther 9,20). Und obwohl er deutlich gemacht hatte, dass die Beschneidung nicht länger notwendig war (siehe die ausführliche Erörterung später in dieser Broschüre), so beschnitt er dennoch Timotheus um der Juden willen, damit er ihnen nicht zu einem Stolperstein würde (Apostelgeschichte 16,1-3).

Biblische Unterscheidung zwischen dem Gesetz der Zehn Gebote und dem Opfergesetz

In den vorangegangenen Beispielen haben wir gesehen, dass das Wort „Gesetz“ immer im Zusammenhang untersucht werden muss. Es kann sich sowohl auf die Gesamtheit der Gesetze Gottes als auch lediglich auf einen Teil seiner Gesetze beziehen. Wir haben gelernt, dass sich das Wort „Gesetz“ manchmal auf das Opfersystem bezieht, das ein Jahr, nachdem Gott dem alten Israel die Zehn Gebote gegeben hatte, eingeführt wurde oder „hinzugekommen“ war.

Wenn man nicht zwischen Gottes geistlichen Gesetzen (einschließlich dem Gesetz der Zehn Gebote) und den Gesetzen von Opfern und Ritualen unterscheidet, dann unterlaufen einem beim Begreifen der Bibel unweigerlich fatale Fehler. Lassen Sie uns daher einige weitere Beispiele betrachten, die deutlich zwischen Gottes geistlichem Gesetz, das seit der Erschaffung des Menschen besteht, und dem Ritual- oder Opfergesetzsystem unterscheiden, das zur Zeit des Mose „hinzugekommen“ ist.

Gott macht die Unterscheidung in Jeremia 7,22-23 sehr deutlich: „Ich aber habe euren Vätern an dem Tage, als ich sie aus Ägyptenland führte, nichts gesagt noch geboten von Brandopfern und Schlachtopfern [diese Gebote gab Gott tatsächlich erst ein Jahr später]; sondern dies habe ich ihnen geboten: Gehorcht meinem Wort, so will ich euer Gott sein und ihr sollt mein Volk sein; wandelt ganz auf dem Wege, den ich euch gebiete, auf dass es euch wohlgehe.“

Gott selbst lehrt uns hier dieses fundamentale Konzept. Er befahl den Israeliten, ganz auf seinem Wege zu wandeln – und dies beinhaltete keineswegs das Erbringen von Opfern! Gottes geistliches Gesetz – die Zehn Gebote – sowie die Satzungen und Rechtsvorschriften, die Gottes geistliches Gesetz näher definieren, erfordern kein Opfersystem. Das Opfersystem wurde hinzugefügt, weil die Israeliten Gottes geistliches Gesetz nicht befolgt hatten.

In Jeremia 6,19-20 betont Gott dieselbe Wahrheit: „Du, Erde, höre zu! Siehe, ich will Unheil über dies Volk bringen, ihren verdienten Lohn, weil sie auf meine Worte nicht achten und mein Gesetz verwerfen. Was frage ich nach dem Weihrauch aus Saba und nach dem köstlichen Gewürz, das aus fernen Landen kommt? Eure Brandopfer sind mir nicht wohlgefällig, und eure Schlachtopfer gefallen mir nicht.“

Das Volk brachte Opfer, verwarf jedoch Gottes geistliches Gesetz. Offensichtlich spricht Gott hier von zwei unterschiedlichen „Gesetzen“. Die Israeliten hielten das Opfergesetz, aber sie hielten nicht Gottes geistliches Gesetz der Zehn Gebote. Nirgends im gesamten Wort Gottes ist Gott jemals unzufrieden mit Menschen gewesen, wenn sie seine großartigen, geistlichen Gesetze, einschließlich der Zehn Gebote, gehalten haben.

Eine weitere deutliche Unterscheidung zwischen dem Opfersystem (das hinzugekommen ist, um die Menschen zu Christus zu führen) und Gottes geistlichem Gesetz wird in Psalm 40,7-9 getroffen:

„Schlachtopfer und Speisopfer gefallen dir nicht, aber die Ohren hast du mir aufgetan. Du willst weder Brandopfer noch Sündopfer. Da sprach ich: Siehe, ich komme; im Buch ist von mir geschrieben: Deinen Willen, mein Gott, tue ich gern, und dein Gesetz hab ich in meinem Herzen.“

Ursprünglich war es nicht Gottes Wille und Teil des geistlichen Gesetzes Gottes, Opfer zu bringen. Vielmehr kam das Erfordernis des Opfersystems hinzu, nachdem Israel Gottes geistliches Gesetz verletzt hatte. Erneut sehen wir, dass das Wort „Gesetz“ sorgfältig im Zusammenhang untersucht werden muss, um zu einem korrekten Verständnis zu gelangen.

Das Buch des Bundes

Wie wir später in dieser Broschüre noch ausführlicher erläutern werden, hat Gott am Berg Sinai einen Bund mit Israel geschlossen. Wir lesen in 2.Mose 24, dass der Bund mit Blut versiegelt wurde. Als dies geschah, war der Bund endgültig in Kraft und konnte nicht mehr abgeändert werden. Das Gesetz dieses Bundes wurde in einem Buch niedergeschrieben, dem „Buch des Bundes“ (Vers 7; vergleichen Sie Hebräer 9,19-20). Zu jener Zeit war das Opfersystem nicht Teil des Gesetzes – diese rituellen Rechtsordnungen waren noch nicht gegeben worden – und sie waren noch nicht im Buch des Bundes niedergeschrieben worden. Das einzige Opfer, das als ein erforderliches Opfer erwähnt wird, ist das Passa (2.Mose 23,18; 2.Mose 12). Doch auch dieses Passaopfer fand seine Erfüllung im Tod Jesu Christi. Christen opfern heute keine Lämmer mehr zum Passa – vielmehr macht Paulus deutlich: „… Denn unser Passahlamm ist ja für uns geschlachtet worden: Christus“ (1.Korinther 5,7; Schlachterbibel).

Wir lesen zwar auch über einen Altar, auf dem Opfer gebracht werden konnten (2.Mose 20,22-26), jedoch waren diese nicht Teil eines obligatorischen Opfersystems. Bereits lange vor den Ereignissen am Berg Sinai gaben Menschen freiwillige Opfergaben (Kain und Abel, 1.Mose 4,3-5; Noah, 1.Mose 8,20-21; Abram, 1.Mose 15,9-11; Abraham, 1.Mose 22,13; Jakob, 1.Mose 31,54; 1.Mose 35,14; Israel, 1.Mose 46,1). Die in 2.Mose 20 erwähnten Opfergaben wurden aus freien Stücken erbracht – sie wurden in Vers 24 als Brand- und Dankopfer identifiziert. Interessanterweise werden Sünden- und Schuldopfer hier nicht erwähnt. Diese werden nur in Verbindung mit und als Bestandteil des Opfersystems genannt – um die Menschen an ihre Sünden und Übertretungen zu erinnern. Die Erwähnung dieser Opfer innerhalb des rituellen Opfersystems geschah erstmals im vierten Buch Mose, in den Kapiteln 4 und 5.

Der Bund am Horeb beinhaltete ursprünglich nicht das Opfersystem. Auch das Buch des Bundes enthielt keine derartigen rituellen Vorschriften. Mit der Zeit wurden jedoch rituelle Gesetze hinzugefügt, einschließlich der Gesetze über das levitische Priestertum und Strafen oder Flüche für Übertretungen von Gottes geistlichem Gesetz, und diese fanden ihren Weg in das Buch des Bundes, das auch das Buch des Gesetzes genannt wird (5.Mose 28,58.61; 29,19-20.26; 30,10; 31,9).

Dieses Buch des Gesetzes wurde außerhalb oder neben der Bundeslade aufbewahrt (5.Mose 31,24-26). Die Tafeln mit den Zehn Geboten wurden jedoch in die Lade gelegt (5.Mose 10,4-5; Hebräer 9,4).

Später wurden alle Gesetze, die Mose in das Buch des Gesetzes geschrieben hatte, in massive Steine eingraviert (5.Mose 27,2-3.8; Josua 8,30-32.34). Die auf die Steine geschriebenen Gesetze beinhalteten die Zehn Gebote sowie die Satzungen und Rechte, und ebenso die Regeln und Rechtsvorschriften hinsichtlich Opfer und anderer Rituale. Wir finden einen Verweis auf diese Steine und die darin eingravierten Gesetze in 2.Korinther 3,7-8: „Wenn aber der Dienst, der den Tod bringt und der mit Buchstaben in Stein gehauen war, Herrlichkeit hatte… wie sollte nicht der Dienst, der den Geist gibt, viel mehr Herrlichkeit haben?“ (revidierte Lutherbibel 2017). Ganz wörtlich aus dem Griechischen übernommen, lautet die Stelle wie folgt: „… geschrieben und (dann) in Stein eingegraben…“ Dies nimmt Bezug auf die Tatsache, dass alle diese Gesetze und Vorschriften zunächst unter Mose in das Buch des Gesetzes geschrieben und sodann unter Josua in massive Steine eingraviert wurden.

Der Hinweis auf den Dienst, der den Tod bringt, oder auf das Amt des Todes, beinhaltet die Todesstrafe für die Übertretung des geistlichen Gesetzes Gottes. Die Strafen wurden zuerst in das Buch des Gesetzes geschrieben und dann in massive Steine eingraviert. Da Christus für uns gestorben ist, müssen wir die Todesstrafe nicht zahlen, wenn wir unsere Sünden bereuen und Vergebung erlangen. Außerdem konnten die rituellen Gesetze, die Teil der in Stein geschriebenen Gesetze waren, keine Sünden vergeben – sie erinnerten lediglich die Sünder an ihre Sünden. Das levitische Priestertum war also, in diesem Sinne, der Dienst, der den Tod bringt, da die Menschen nicht in der Lage waren, ewiges Leben zu erlangen, obwohl sie Opfer brachten.

Die Werke des Gesetzes

Mit diesem Hintergrundwissen sollten wir in der Lage sein, besser zu verstehen, was Paulus uns in Galater 3,10-13 sagt, wenn er über die „Werke des Gesetzes“ spricht. Wenn Sie nun diese Bibelstelle lesen, denken Sie daran, den Zusammenhang zu beachten, um zu begreifen, auf welches spezifische Gesetz sich diese Schriftstelle bezieht.

Beginnen wir in Vers 10: „Denn die aus den Werken des Gesetzes leben [einschließlich den Werken des Opfers und der Rituale, die durchgeführt werden mussten], die sind unter dem Fluch. Denn es steht geschrieben: ,Verflucht sei jeder, der nicht bleibt bei alledem, was geschrieben steht in dem Buch des Gesetzes, dass er‘s tue!‘ Dass aber durchs Gesetz niemand gerecht wird vor Gott, ist offenbar; denn ‚der Gerechte wird aus Glauben leben‘. Das Gesetz aber ist nicht ‚aus Glauben‘, sondern: ‚der Mensch, der es tut [der zum Beispiel Opfer erbringt und Rituale durchführt], wird dadurch leben‘ [Dies bedeutet, solange sie innerhalb des Opfersystems lebten, wurden sie von Gott nicht aus der Gemeinschaft von Israel ausgeschlossen]. Christus aber hat uns erlöst von dem Fluch [d.h. der Strafe] des Gesetzes, da er zum Fluch wurde für uns [er hat für uns die Strafe bezahlt]; denn es steht geschrieben: ‚Verflucht ist jeder, der am Holz hängt.‘“

Jeder, der nicht bei allem blieb, was im Buch des Gesetzes geschrieben stand, wurde verflucht, was die Vorschriften hinsichtlich der Waschungen, Rituale und Opfer mit einschloss. Obwohl das Buch des Gesetzes selbstverständlich auch die Zehn Gebote und ihre Satzungen und Rechtsvorschriften enthielt, so enthielt es ebenfalls die physischen Werke des Gesetzes, das Opfersystem, sowie die Todesstrafen und andere Strafen für die Übertretung von Gottes Gesetz. Sodann konnten das Erbringen von Opfern und das Befolgen von Ritualen keine Vergebung der Sünde bewirken—man befand sich nach wie vor unter dem Fluch oder der Strafe des Gesetzes, weil man es gebrochen hatte. 

Die Aussage von Paulus, dass das Gesetz aufgrund der Übertretungen hinzugekommen war (Galater 3,19), bezieht sich auf den Teil des Gesetzes oder der Gesetze im Buch des Gesetzes, der mit den Opfern und anderen Ritualen zu tun hat, sowie mit den Flüchen oder Strafen für die Übertretung von Gottes geistlichem Gesetz.

Wir müssen fest vor Augen haben, dass „das Buch des Gesetzes des Mose“, das manchmal auch als „das Gesetz des Mose“ bezeichnet wird, alle möglichen Gesetze enthielt. Wir müssen daher vorsichtig sein, um keine voreiligen Schlüsse zu ziehen, wenn wir im Neuen Testament über das Buch des Gesetzes lesen. Auch hier müssen wir immer wieder im Zusammenhang analysieren, über welches jeweilige und spezielle Gesetz der Verfasser spricht.

Zum Beispiel lesen wir in Apostelgeschichte 15,5: „Da traten einige von der Partei der Pharisäer auf, die gläubig geworden waren, und sprachen: Man muss sie [Heiden, die zu Christen wurden] beschneiden und ihnen gebieten, das Gesetz des Mose zu halten.“

Der Zusammenhang der Diskussion zeigt uns, dass sie keineswegs über die Zehn Gebote – einschließlich des Sabbats – stritten, sondern darüber, ob die im Gesetz des Mose enthaltene Beschneidung und andere Rituale für Heidenchristen erforderlich wären. Beachten Sie, wie diese Frage auf der ersten Predigerkonferenz in Jerusalem entschieden wurde. Bemerken Sie, dass es Jakobus war, der diese Worte sprach – derselbe Apostel, der später die Zehn Gebote als ein Paket bezeichnete und sagte, dass wir am ganzen Gesetz schuldig sind, sobald wir eins der Zehn Gebote übertreten: „Darum meine ich, dass man denen von den Heiden, die sich zu Gott bekehren, nicht Unruhe mache, sondern ihnen vorschreibe, dass sie sich enthalten sollen von Befleckung durch Götzen und von Unzucht und vom Erstickten und vom Blut“ (Apostelgeschichte 15,19-20; vergleichen Sie ebenfalls Apostelgeschichte 15,28-29).

Jakobus sprach nicht über die Zehn Gebote. Warum jedoch erwähnt Jakobus ausdrücklich, dass die Heiden sich von Götzen, Unzucht, Ersticktem und Blut enthalten sollten? Diese vier Aspekte, die wir im Gesetz des Mose finden, wurden dort vielfach in Verbindung mit Ritualen und Opfern erwähnt (3.Mose 17,7.10). Im Gesetz des Mose wird klar geboten, sich von Dingen zu enthalten, die durch Götzendienst verunreinigt wurden (2.Mose 34,15-16; Psalm 106, 28.37-38); Unmoral und Unzucht zu vermeiden (3.Mose 19,29; 5.Mose 23,18-19); nicht das Fleisch erstickter, zerrissener oder verendeter Tiere zu essen (3.Mose 22,8); und kein Blut oder Blutiges zu verzehren (1.Mose 9,4; 3.Mose 3,17).

Wie gesagt, befinden sich diese Vorschriften im Buch des Gesetzes des Mose, doch oftmals in unmittelbarem Zusammenhang mit rituellen Opfervorschriften. Gleichwohl sind sie heute noch gültig. Nichtjuden tranken oft Blut mit ihren Opfern, oder sie aßen ihre Opfer noch mit dem im Fleisch enthaltenen Blut (wie dies bei Tieren der Fall ist, die erstickt wurden), oder sie begingen Unzucht mit Tempelprostituierten. Damit hier kein Missverständnis aufkam, machten die Apostel und Ältesten den Heiden gegenüber deutlich, dass diese Gesetze immer noch verbindlich waren, obwohl sie im Zusammenhang mit dem Opfersystem erwähnt wurden. Dies bedeutet natürlich nicht, dass alle anderen Gesetze und ganz besonders die Zehn Gebote für Heidenchristen abgeschafft sind, so dass sie nun frei wären zu morden, zu stehlen oder Gott zu verunehren. Diese Idee ist wirklich total unsinnig.

Christus kam nicht, um das Gesetz abzuschaffen!

Christus ist nicht gekommen, um Gottes geistliches Gesetz der Zehn Gebote aufzuheben. Er sagte in Matthäus 5,17, dass er nicht gekommen sei, um das Gesetz aufzulösen, sondern um es zu erfüllen – um es herrlich und groß und noch ehrenvoller zu machen (Jesaja 42,21), um es mit seinem beabsichtigten Sinn anzufüllen und um uns zu zeigen, wie man es im Fleisch vollkommen hält. Das griechische Wort für „erfüllen“ lautet „pleroo“. Es kann die Bedeutung von „anfüllen“ oder „auffüllen“ haben (Young’s Analytical Concordance to the Bible). In Matthäus 3,15 wird es in folgendem Zusammenhang verwendet: „Denn so gebührt es uns, alle Gerechtigkeit zu erfüllen…“

Das griechische Wort „pleroo“ wird auch in den folgenden Stellen verwendet. In Philipper 2,2 sagt Paulus: „so erfüllt meine Freude, dass ihr dieselbe Gesinnung und dieselbe Liebe habt, einmütig, eines Sinnes seid“ (Elberfelder Bibel; so auch die neue Lutherbibel 2009). Es ist interessant, dass die Lutherbibel 1984 und auch die revidierte Lutherbibel 2017 schreiben: „…macht meine Freude dadurch vollkommen.“ Wir sehen hier, dass „erfüllen“ mit „vollkommen machen“ gleichgesetzt wird; die Bedeutung ist keineswegs „aufheben“, sondern das genaue Gegenteil.

Außerdem erinnert Paulus die Heiligen in Kolossä daran, dass er ein Prediger wurde, damit er „das Wort Gottes in seiner Fülle predige“ (Kolosser 1,25; revidierte Lutherbibel 2017), und er ermahnt in Kolosser 4,17 den Archippus: „Sieh auf das Amt, das du empfangen hast in dem Herrn, dass du es ausfüllst!“ Die neue Lutherbibel 2009 schreibt: „… damit du ihn [deinen Auftrag] erfüllst.“

Keine dieser Bibelstellen vermittelt den Gedanken, dass etwas endete – vielmehr ist die offensichtliche Bedeutung hier, dass etwas weiter mit Bedeutung angefüllt werden oder zur Vollkommenheit gebracht werden sollte.

Da Christus das Opfersystem tatsächlich abgeschafft hatte, sprach er in Matthäus 5,17 auch nicht von diesem Opfergesetz. Er erklärte vielmehr in dieser Schriftstelle, dass er keineswegs gekommen war, um das geistliche Gesetz Gottes aufzulösen – die Zehn Gebote sowie alle Satzungen und Rechtsvorschriften des Neuen und Alten Testaments, die die Zehn Gebote noch klarer definieren und verherrlichen.

Schließlich lesen wir, dass Gottes geistliches Gesetz, wie es in den Zehn Geboten mit den dazugehörigen Satzungen und Rechtsvorschriften definiert ist, „fest für immer und ewig [steht]“ (Psalm 111,7-8), und dass es leichter ist, dass Himmel und Erde vergehen, „als dass ein Tüpfelchen vom Gesetz fällt“ (Lukas 16,17). Ein Tüpfelchen ist der kleinste Strich in einem hebräischen Buchstaben.

Einige zitieren eine Aussage in Römer 10,4, um die Idee zu unterstützen, dass Christus das geistliche Gesetz Gottes aufgehoben hat. Wir lesen hier: „Denn Christus ist des Gesetzes Ende; wer an den glaubt, der ist gerecht.“ Das hier verwendete griechische Wort für „Ende“ ist „teleos“ und bedeutet „Ziel, Absicht, Ergebnis“. Jakobus 5,11 stellt fest, dass wir im Hinblick auf Hiob gesehen haben, „zu welchem Ende [„teleos“ im Griechischen] es der Herr geführt hat; denn der Herr ist barmherzig und ein Erbarmer.“

In 1.Petrus 1,9 wird uns gesagt, dass wir „das Endziel [„teleos“ im Griechischen][unseres] Glaubens davontrag[en], nämlich die Errettung [unserer] Seelen!“ (Menge Bibel).

Deshalb endete das geistliche Gesetz keineswegs mit Christus, sondern das Endziel oder Endergebnis des Gesetzes ist vielmehr, uns zu Christus zu führen. Das Gesetz hilft uns somit, wie Christus zu werden. Und der lebendige Christus in uns hilft uns, gerecht zu werden und die vom Gesetz geforderte Gerechtigkeit zu erfüllen (Römer 8,3-4).

Von daher übersetzt die Pattloch Bibel Römer 10,4 wie folgt: „Endziel des Gesetzes ist ja Christus zur Gerechtigkeit für jeden, der glaubt.“

Andere zitieren die Aussage in Römer 6,14, wonach wir nicht länger „unter dem Gesetz [sind], sondern unter der Gnade“ und behaupten, wir müssten demzufolge dem Gesetz nicht länger gehorsam sein. Die wahre Bedeutung dieser Schriftstelle ist jedoch, dass wir nicht länger unter dem Fluch des Gesetzes sind—der Todesstrafe, die wir uns verdient haben, wenn wir das Gesetz übertreten—da das Blut Christi, das für uns aus Gnade vergossen wurde, unsere Sünden bedeckt und vergeben hat. Paulus erklärt im nächsten Vers (Vers 15), dass dies keineswegs bedeutet, dass wir nun fortfahren können zu sündigen – das heißt, Gottes Gesetz zu brechen. Vielmehr sollen wir jetzt „Knechte der Gerechtigkeit“ (Vers 18) sein, indem wir Gottes Gesetz befolgen.

Wir sind nicht mehr unter dem Fluch oder der Strafe des Gesetzes, wenn wir Vergebung für unsere Sünden erlangt haben. Wir sind dann nicht mehr dem Fluch oder der Strafe ausgesetzt, sondern wir sind begnadigt worden—wir haben Gottes Gnade erlangt und befinden uns unter seinem gnädigen Schutz. Doch wenn wir erneut sündigen, dann sind wir wieder unter der Strafe oder dem Fluch des Gesetzes, und müssen durch Bekenntnis unserer Sünden zu Gott, durch Reue und durch Glauben an Christi Opfer erneut Vergebung erlangen, sodass wir nicht unter dem Fluch verbleiben, sondern erneut unter die Gnade gelangen (1.Johannes 1,9; 2,1).

(Fortsetzung folgt)

Autor: Norbert Link

Ursprüngliche Übersetzung aus dem Englischen: Daniel Blasinger