Welche Bedeutung hat die Aussage der Juden zur Zeit Jesu: „Sein Blut komme über uns und unsere Kinder“ (Matthäus 27,25)?

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Wie in diesem Artikel erklärt werden wird, haben viele diese Aussage benutzt, um antisemitische Gefühle zu rechtfertigen oder um schreckliche Vorfälle wie den Holocaust zu erklären, als Millionen von Juden in Gaskammern ermordet wurden. Aber ist es möglich, dass ein „Fluch“, den Eltern ihren Kindern und zukünftigen Generationen auferlegen, automatisch solch schreckliche Folgen haben kann? Einige verweisen als Erklärung auf den „Fluch“, den Gott Eltern und Kindern auferlegt hat, die ihn „hassen“.

Wir lesen in der Tat, dass Gott die Missetat der Väter heimsucht bis ins dritte und vierte Glied an den Kindern derer, die ihn hassen (vgl. 2. Mose 20,5, Lutherbibel 2017, wie auch im folgenden), doch dies muss im Einklang mit Schriftstellen wie in 5.Mose 24,16 gesehen werden, in denen es heißt, dass die Kinder nicht für ihre Väter sterben sollen, sondern dass ein jeder „für seine eigene Sünde sterben soll.“

Kinder werden nur dann bestraft, wenn sie selbst sündigen. Die Companion Bible kommentiert Hesekiel 18,4.20 folgendermaßen: „Nachkommen wurden nicht für die Sünden ihrer Vorfahren bestraft, es sei denn, sie verharrten in den Sünden ihrer Vorfahren. Der gleiche Gedanke kommt in 2.Mose 20 zum Ausdruck. Beachten Sie, dass 2.Mose 20,5 von denen spricht, die (Gott) hassen. [Der] Soncino [Kommentar] weist darauf hin, dass sich die Aussage bzgl. ‚derer, die mich [Gott] hassen‘ auf die Kinder bezieht, d.h. Gott wird die Kinder bestrafen, wenn sie ihn hassen. Soncino kommentiert auch, dass die Strafe über die Kinder kommt, ‚wenn sie die bösen Taten ihrer Väter beibehalten‘.“

Die meisten deutschen Bibeln geben diese Stelle in 2.Mose 20 missverständlich wieder. Genauer ist die Elberfelder Bibel, die schreibt: „… der die Schuld der Väter heimsucht an den Kindern, an der dritten und vierten Generation von denen, die mich hassen.“ Ähnlich die Menge Bibel: „… der die Verschuldung der Väter heimsucht an den Kindern, an den Enkeln und Urenkeln bei denen, die mich hassen.“

Nun kann das Verhalten der Eltern viel damit zu tun haben, ob ihre Kinder oder Enkelkinder Gott lieben oder hassen. Die Sünden der Väter haben auf zukünftige Generationen Auswirkung—und das gilt auch für die Strafe für die Sünde. Als Adam und Eva sündigten, hatte die Strafe, die ihnen auferlegt wurde, für die gesamte Menschheit Auswirkungen. Durch ihre Sünde schnitten sie sich—und die Menschen—von Gott ab. Die Sünde trennt oder scheidet uns von Gott (Jesaja 59,1-2), und da alle gesündigt haben, haben alle die Todesstrafe für die Sünde über sich gebracht (Römer 5,14). Man könnte sagen, dass die Sünde von Adam und Eva zumindest für die dritte und vierte Generation Auswirkungen gehabt hat, aber da Kain gesündigt hat, hat sich seine Sünde auf die nächsten vier Generationen ausgewirkt, und so weiter. Die Auswirkung der Sünde nahm zu und breitete sich aus. Schließlich war die Sünde so allumfassend geworden, dass Gott beschloss, die ganze Welt in einer Flut zu zerstören.

Christus hat in Matthäus 23,31-36 deutlich gemacht, wie das Prinzip aus 2.Mose 20,6 in den Personen der Schriftgelehrten und Pharisäer erfüllt wurde, indem er den bösen Einfluss ihrer Eltern und ihr eigenes Verschulden in ihrem anhaltenden Hass auf Gott aufzeigte.

Andererseits kann der Teufelskreis der Sünde, der Strafe und dem Tod unterbrochen werden, wenn sich jemand an Gott wendet, bereut und Vergebung erlangt. Gott ist entschlossen, einige in der heutigen Zeit zu berufen, um eine besondere Beziehung zu ihm zu haben. Dies schließt die Kinder der berufenen Eltern mit ein. Ob sie es verstehen oder nicht, Eltern haben einen enormen Einfluss auf ihre Kinder und Enkelkinder—in guter wie in schlechter Hinsicht.

In Anbetracht dieses Konzepts sollten wir zu Matthäus 27,25 zurückkehren. Im Zusammenhang mit diesem Abschnitt wusch Pilatus seine Hände und erklärte, er sei „unschuldig am Blut dieser gerechten Person“, Jesus Christus. Als Antwort schrie die Menge: „Sein Blut komme über uns und unsere Kinder“ und forderte seinen Tod durch Kreuzigung.

Viele Kommentare sind in der Tat der Meinung, dass diese Aussage automatische Konsequenzen für ihre zukünftigen Generationen hatte.

Matthew Henry’s Concise Commentary schreibt: „Der Fluch der Juden gegen sich selbst hat sich fürchterlich in den Leiden ihrer Nation bestätigt.“

Der Pulpit Commentary sagt: „Eine verrückte und gottlose Verwünschung, deren Erfüllung schnell einsetzte und bis heute andauert. Die schrecklichen Ereignisse, die mit der Zerstörung Jerusalems, dem Sturz der Theokratie und den achtzehn Jahrhunderten des Exils und der Zerstreuung verbunden sind, zeugen von der Realität der Vergeltung, die so mutwillig heraufbeschworen wurde. “

In Gill’s Exposition of the Entire Bible heißt es: „…für das Vergießen des Blutes kam Zorn über sie bis zum äußersten, in der vollständigen Zerstörung ihrer Nation, ihrer Stadt, und des Tempels, und sehr bemerkenswert ist, dass eine große Zahl von ihnen durch die Kreuzigung getötet wurde; und sehr wahrscheinlich auch einige jener Personen, die so lautstark forderten, Christus zu kreuzigen; und wenn nicht sie, dann zumindest ihre Kinder; fünfhundert Juden und mehr wurden manchmal an einem einzigen Tag gekreuzigt, als Titus die Stadt belagerte; bis es dort reihenweise ‚Plätze für die Kreuze‘, ‚und Kreuze für die Menschen‘ gab, wie Josephus sagte, der ein Augenzeuge war: und bis zum heutigen Tag ruht dieser schreckliche Wunsch des Blutes Christi auf ihnen, an ihrem elenden, bösen und gefangenen Zustand; und es wird so sein, bis sie auf den schauen, den sie durchbohrt haben, und trauern werden … “

In Barnes’ Notes on the Bible heißt es: „Die Juden hatten kein Recht, diese Vergeltung für ihre Kinder auszusprechen, aber nach dem gerechten Urteil Gottes ist sie über sie gekommen. In weniger als vierzig Jahren wurden ihre Stadt und ihr Tempel eingenommen und zerstört. Mehr als eine Million Menschen kamen bei der Belagerung ums Leben. Tausende starben an Hungersnot; Tausende wegen Krankheit; Tausende durch das Schwert; und ihr Blut lief die Straßen hinunter wie Wasser, so dass, sagte Josephus, es Dinge löschte, die in der Stadt brannten. Tausende wurden gekreuzigt und erlitten die gleiche Strafe, die sie dem Messias auferlegt hatten… Auch bis heute ist der Fluch geblieben. Sie wurden eine Nation, die zerstreut und dezimiert wurde; fast überall verfolgt und ein Spott und ein Sprichwort unter den Menschen. Wahrscheinlich hat keine Nation so viel gelitten; und doch haben sie überlebt. Alle Rassen von Menschen, alle Regierungen der Erde haben sich verschworen, sie mit Elend zu unterdrücken, und dennoch leben sie als Denkmäler der Gerechtigkeit Gottes und als zeitlose Beweise dafür, dass die christliche Religion richtig ist—eine ständige Demonstrationen des Verbrechens ihrer Väter, den Messias zu töten und für sich die Vergeltung zu wünschen.“

Clarke’s Commentary on the Bible schreibt: „Wenn dieser Mann unschuldig ist und wir ihn als Schuldigen töten, dann mag sich die Bestrafung aufgrund eines solchen Verbrechens auf uns und unsere Kinder nach uns richten! Was für eine schreckliche Verwünschung! und wie buchstäblich erfüllt!… sie fielen ihrer eigenen Verwünschung zum Opfer, als sie von einer Reihe von Katastrophen heimgesucht wurden, die in der Geschichte der Welt beispiellos blieben. Sie wurden mit der gleichen Strafe heimgesucht; denn die Römer kreuzigten sie in einer solchen Anzahl, als Jerusalem erobert wurde, dass es einen Mangel an Kreuzen für die Verurteilten und an Plätzen für die Kreuze gab. Der Fluch fiel auch auf ihre Kinder und Nachkommen, die bis heute ein Beweis für die Unschuld Christi sind sowie für die Wahrheit seiner Religion und für die Gerechtigkeit Gottes.“

The People’s New Testament sagt: „Sein Blut sei auf uns. Das heißt, lasst uns die Verantwortung tragen und die Strafe erleiden. Ein schreckliches Vermächtnis, das furchtbar vererbt wurde. Die Geschichte der Juden von jenem Tag an war die düsterste, die in der menschlichen Geschichte verzeichnet wurde.“

In Wesley’s Notes steht: „Sein Blut sei auf uns und auf unseren Kindern. Diese Verwünschung war fürchterlich… und wurde zunächst von Titus, dem römischen General, in besonderer Hinsicht an den Juden erfüllt, die er während der Belagerung Jerusalems gefangen nahm… Nachdem sie auf schreckliche Weise gegeißelt worden waren, wurden sie in der ganzen Stadt gekreuzigt, so dass in der Nähe der Mauer nach einer Weile kein Platz mehr war, an dem die Kreuze nebeneinander stehen konnten. Wahrscheinlich geschah dies bei einigen von denen, die sich diesem Ruf [nach Vergeltung] angeschlossen hatten, wie es sicherlich auch bei vielen ihrer Kinder der Fall war: [darin zeigte sich] der Finger Gottes selbst, der damit auf ihr Verbrechen hinwies, seinen Sohn gekreuzigt zu haben.“

Dies soll genügen. Auch wenn der irregeleitete menschliche Verstand voreilig zu dem Schluss kommen mag, dass die Leiden der Juden das direkte Ergebnis eines Fluches sind, den die Eltern für sich und zukünftige Generationen ausgesprochen haben, ist eine solche Interpretation nicht biblisch. In der Tat ist sie schrecklich und blasphemisch. Die Konsequenzen dieser Art der Interpretation waren in der Tat grausam und teuflisch. Adolf Hitler benutzte diese Schriftstelle und das Konzept, dass die „Juden Christus getötet haben“, um Millionen von ihnen während des Holocaust zu ermorden. Andere hatten vor ihm dieselbe „Rechtfertigung“ für ihre schrecklichen und gottlosen Taten gegenüber den Juden verwendet. Was jedoch vergessen wird, ist die Tatsache, dass die Juden lange vor dem Tod Christi verfolgt wurden—wir mögen uns daran erinnern, dass im Buch Esther alle Juden getötet worden wären, wenn Esther nicht eingegriffen hätte. Offensichtlich stand Satan hinter diesem Versuch, das jüdische Volk total auszumerzen, um die biblische Prophezeiung „scheitern‘ zu lassen, indem er versuchte, die Geburt von Jesus Christus zu verhindern; denn er wusste ja, dass Christus als „der Sohn Davids“ ein Nachkomme des Hauses Juda sein würde. 

In der Nelson Study Bible heißt es: „Die Zerstörung Jerusalems war eine der Folgen dieser Sünde [dem Fluch, den die Eltern ausgesprochen haben].“ Zum Beweis weist der Kommentar auf Matthäus 23,32-39 hin. Diese Passage beschreibt jedoch die Konsequenzen für die Sünden derjenigen, die selbst sündigten—sie verflucht nicht unschuldige Kinder, die an dem bösen Lebensstil ihrer Eltern keinen Anteil hatten. Darüber hinaus sollten wir erkennen, dass in Matthäus 27,25 nicht von einem Fluch die Rede ist, der von Gott verhängt wurde, sondern von einem Fluch, der von unwissenden Menschen ausgesprochen wurde. Gott ist nicht an einen solchen Fluch gebunden. Im Gegenteil lesen wir, dass niemand jemanden wirksam verfluchen oder einen Fluch über jemanden herbeiführen kann, den Gott nicht verflucht (4.Mose 23,8).

In Anerkennung der Ungerechtigkeit, alle zukünftigen Generationen kategorisch mit einem schrecklichen Fluch zu verdammen, den einige ihrer Vorfahren ausgesprochen haben, nehmen einige Kommentare einen differenzierteren Standpunkt ein. In The new Bible Commentary: Revised heißt es, dass die Aussage der Eltern „in späteren Generationen zu Unrecht zur Verfolgung der Juden verwendet wurde“.  Der Broadman Bibelkommentar stimmt dem zu und sagt: „Vers 25 [von Matthäus 27] wurde leider im Antisemitismus verwendet, und eine solche Anwendung ist zu verurteilen. Jesus wurde von den Römern aufgrund jüdischer Initiative gekreuzigt, aber nicht alle Juden unterstützten damals das Verbrechen, und die Juden sind heute nicht schuldiger als andere Völker. Jesus starb wegen der Sünden der Welt, nicht wegen der Juden allein.“

Das ist in der Tat wahr. Christus kam, um für alle Menschen—Juden und Heiden—zu sterben, und wir alle sind schuldig an seinem Tod, weil wir alle gesündigt haben und der Lohn der Sünde der Tod ist. Darüber hinaus haben unsere Sünden Flüche in unserem Leben zur Folge—nicht feindselige Worte, die von unwissenden Männern ausgesprochen werden. Christus kam, um uns durch das Vergießen seines kostbaren Blutes von Sünde und der Todesstrafe zu befreien und den Fluch des ewigen Todes von uns zu nehmen. (Weitere Informationen finden Sie in unserer kostenlosen Broschüre „Jesus Christus – ein großes Geheimnis“.) Es ist auch eine Tatsache, dass dies die Welt Satans ist, und dass Satan bestrebt ist, die gesamte Menschheit zu vernichten. Millionen von Menschen sind in Kriegen, Hungersnöten, Krankheitsepidemien und „Naturkatastrophen“ ums Leben gekommen, und Millionen von Christen wurden während der Zeit der Inquisition ermordet. Wie in diesem Artikel erläutert, leiden wir unter den Folgen unseres eigenen Fehlverhaltens und nur dann unter den Folgen des Fehlverhaltens unserer Eltern, wenn wir ihren Lebensstil übernehmen und ihn zu unserem eigenen machen. Zu sagen, dass Juden von Gott ausgesondert und im Laufe der Geschichte wegen eines Fluches, den einige Juden zum Zeitpunkt des Todes Christi ausgesprochen hatten, verfolgt und getötet wurden, wäre ebenso falsch, wie wenn man die gegenwärtige Generation der Deutschen für die Verbrechen ihrer Väter und Großväter gegen die Juden und andere während der Zeit des nationalsozialistischen Deutschlands verantwortlich machen wollte.

Wir sollten uns auch auf eine andere Möglichkeit konzentrieren, wie man Matthäus 27,25 verstehen könnte. Obwohl die Juden, die diese schrecklichen Worte aussprachen, in die Irre geführt waren und sie als Ablehnung von Christus verstanden, die auf sie und ihre Kinder angewendet werden sollten—offensichtlich ohne wirklich zu begreifen, was sie sagten–, mag Gott diese Aussagen deshalb aufgezeichnet haben, um sie mit einem völlig anderen Konzept in Verbindung zu bringen. Zum Beispiel lesen wir, dass der Hohepriester den Tod Jesu Christi empfahl, da „es besser ist für euch, ein Mensch sterbe für das Volk, als dass das ganze Volk verderbe“ (Johannes 11,49-50). Er meinte, dass Jesus sterben sollte, damit die Römer nicht einfallen würden, um Juda zu zerstören, aber Gott hat diesen Ausspruch aus einem ganz anderen Grund inspiriert. In Johannes 11,51-52 heißt es: „Das sagte er aber nicht von sich aus, sondern weil er in diesem Jahr Hohepriester war, weissagte [oder prophezeite] er. Denn Jesus sollte sterben für das Volk und nicht für das Volk allein, sondern auch, um die verstreuten Kinder Gottes zusammenzubringen.“

In diesem Sinne verstehen einige Kommentare die Worte in Matthäus 27,25 in ähnlicher Weise. Der One Volume Bible Commentary von J.R. Dummelow beschreibt den Ausspruch der Juden als „einen Segen für die Gläubigen, auf die das Blut Jesu zur Heiligung und zum Erlass der Sünde kam (vgl. Johannes 11,50).“  In der Tat, wenn das Blut Jesu unsere Sünden bedeckt, wird dies einen positiven Einfluss auf unsere Kinder haben. Wenn sich ein Elternteil bekehrt und das Opfer Jesu Christi für die Vergebung seiner Sünden annimmt, sind auch seine Kinder „heilig“ oder „geheiligt“ (vgl. 1.Korinther 7,14), d.h. sie werden für den heiligen Zweck ausgesondert, ihr Potenzial zu erkennen, eine Beziehung zu Gott einzugehen. In diesem Sinne könnte der „Fluch“ der Eltern in Matthäus 27,25 in den Augen Gottes vielleicht als der (nicht von ihnen realisierte) Aufschrei nach einem Segen für sie und ihre Kinder verstanden werden.

Gott wird diesen Aufschrei beantworten. Er wird Jesus Christus bald auf diese Erde senden, um allen Menschen—Juden und Heiden gleichermaßen—das Geschenk des ewigen Lebens und der Freiheit von der Sünde und dem Fluch des ewigen Todes anzubieten. Deshalb sollen wir täglich für das Kommen des Reiches Gottes beten (Matthäus 6,10).

Verfasser: Norbert Link

Ursprüngliche Übersetzung aus dem Englischen: Marc Völler